Der Klimatologe Jean Jouzel läutet aufgrund der globalen Erwärmung gegenüber der französischen Sonntagszeitung ‹Journal du Dimanche› die Alarmglocken. Nach seiner Aussage wird unser Planet dramatische Konsequenzen zu spüren bekommen, sollten die Gasemissionen nicht bis 2020 stabilisiert werden.
Le Journal du Dimanche, 13. August 2017
„Es gibt keinen Grund, Katastrophismus zu mutmaßen: Die Situation ist katastrophal.“
Bei dieser Warnung läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken. Der Klimatologe und ehemalige Vize-Präsident des IPCC (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) Jean Jouzel verweist auf düstere Berichte über die Entwicklung der globalen Erwärmung. „Um davon auszugehen, die Erwärmung unter 2 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu halten, ist es notwendig, den Höchstwert aller Treibhausgasemissionen spätestens 2020 zu erreichen“, so der Klimatologe Jouzel. „Uns bleiben nur noch drei Jahre Zeit.“ Auch die immer heißer werdenden Sommer, deren Temperaturen in den kommenden Jahren um 6–8 °C ansteigen werden, sind von der globalen Erwärmung betroffen. „Wir befinden uns nicht länger in der Zukunft: Hier leben die Kinder von heute. Diejenigen, die jetzt auf den Schulhöfen spielen und bald von Sommern mit Temperaturen von 50 °C betroffen sein könnten“, sorgt sich Jean Jouzel.

Eine vor kurzem veröffentlichte Studie zeigt, dass bereits jetzt Regionen Frankreichs von Sommern mit Temperaturen von mehr als 50 °C betroffen sind.
Wie wird die Sommerzeit also in Zukunft aussehen?
Durchschnittlich wird sie wärmer werden. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Im Juni, Juli und August 2003, dem Jahr der gigantischen Hitzewelle in Europa, waren die Temperaturen in Bezug auf die Werte eines Sommers im 20. Jahrhundert 3 °C höher. Wenn nichts getan wird, um die Erwärmung zu bekämpfen, so können wir mit folgender Alltagssituation ab 2050 rechnen: Die brütend heißen Sommer werden noch wärmer werden, die Temperatur kann um 6–8 °C steigen. Dies bringt zwei gravierende Probleme mit sich. Zum einen ist mit einer steigenden Anzahl an Sterbefällen zu rechnen: Obwohl wir heutzutage besser vorbereitet sind, starben 2003 durch die Hitzewelle 70.000 Menschen in Europa, 15.000 davon in Frankreich. Zum anderen müssen auch Waldbrände, die alleine diesen Sommer 73.000 Hektar Land verbrannten, berücksichtigt werden. In manchen Millionenstädten wie Paris, werden sich urbane Hitzeinseln formen, an deren Stelle es zu einer zusätzlichen Erwärmung von 6–8 °C kommen wird. Im Falle einer Verschmutzung wird dies dann zu Gesundheitsproblemen bei der Bevölkerung führen.
Für all diese sehr nützliche Arbeit sind wir Jouzel zu Dank verpflichtet, der dazu beiträgt, die Erscheinung zu konkretisieren. Wenn wir nicht jetzt handeln, wird sich der Planet um durchschnittlich 4–5 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmen. Die Höchstgrenze, welche nicht überschritten werden darf, ist 2 °C höher. Wenn wir das Pariser Klimaabkommen respektieren wollen, wird es sich um einen Wert handeln der zwischen 3,0 °C und 3,5 °C liegt. Jedoch ist es schwierig nachzuvollziehen, dass bereits ein Grad, die Beschaffenheit des Klimas verändern wird. Forscher sammelten Daten bezüglich der Tagestemperatur und arbeiteten dann anhand eines Models von Météo, einem französischen Wetterdienst.
Sollte bis 2075 nichts unternommen werden, so wird sich die Temperatur um 12–13 °C im Osten Frankreichs und um 8 °C in der Bretagne steigern. Außerdem werden die Temperaturen 40 °C überschreiten. Das führt dazu, dass einige Gebiete Temperaturen von 50–55 °C erfahren werden.

Eine Hitzewelle im Juni, massive Waldbrände im Juli… Überhitzt sich Frankreich bereits jetzt?
Die Sommer sind immer heißer und kommen früher. Am 15. Juni stellte man Erscheinungen des Klimas fest, die sich 1960 Anfang Juli ereigneten. Der Sommer weitet sich aus, was zu Hitzewellen im frühen Juni oder späten September führt. Sicher ist der direkte Zusammenhang mit dem Klimawandel, der seit 1950 mit begründeter Gewissheit durch menschliches Handeln verursacht wird. Dieser Kontext erweckt Besorgnis im Hinblick auf die Trockenperiode, die sich derzeit im Mittelmeerraum abspielt. Während bei 40 °C mehr als 60 Menschen durch einen Waldbrand in Portugal tödlich verunglücken und es zu einer Wasserknappheit in Italien kam, stand auch der Süden Frankreichs in Flammen. Solche Feuer ereignen sich immer häufiger und auch deren Faktoren sind längst bekannt: Die Temperatur, die Trockenheit, der Wind, aber auch die Urbanisierung und die Nachlässigkeit der Menschen spielen eine Rolle. 2050 wird sich das Risiko von solchen Bränden auch im Zentrum und im Westen Frankreichs, den Gebieten, die bislang verschont geblieben sind, um einiges steigern.

Dein Bruder, der den Familienbauernhof in der Bretagne übernommen hat, glaubt nicht an die globale Erwärmung!
Genau, denn viele Bauern halten sich an das Kredo von Claude Allègre, welcher glaubt, dass wir uns in einem Zyklus befinden, der auch schon in der Vergangenheit auftrat. Im Gegensatz dazu geben mir meine sieben Enkelkinder große Hoffnung. Vor kurzem hörte ich, wie zwei meiner Enkelinnen, die 9 und 10 Jahre alt sind, sich eine halbe Stunde über erneuerbare Energien und Windräder unterhielten…

Eine Gruppe von Wissenschaftlern, Politikern und Ökonomen erklärten gegenüber dem Magazin ‹Nature›, dass nur noch drei Jahre verbleiben, um zu handeln.
Ja, wir haben nur noch drei Jahre. Dies erklärte 2007 ein Report des IPCC. Seitdem haben wir diesen umgeschrieben – die Kernaussage stimmt jedoch immer noch! Um eine Erwärmung auf maximal 2 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu beschränken, ist es notwendig, dass der Höchstpunkt der Treibhausgasemissionen nicht später als 2020 erreicht wird. Das Pariser Klimaabkommen setzte diese wissenschaftliche Diagnose um, indem das Ziel, diesen Höchstpunkt so bald wie möglich zu erreichen, gesetzt wurde. Wir schrieben auch, dass es notwendig sei, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40–70 % zu verringern, sodass eine Klimaneutralität von da an bis 2100 erreicht werden kann. Das ist eine Herausforderung. Dieser Dialog zwischen Wissenschaftlern und der Politik findet auf internationaler Ebene statt, jedoch reicht das aktuelle Engagement nicht aus. Die Notwendigkeit eines schnellen Handelns ist bereits jetzt da.

Sind die Reden seitens der Wissenschaftler nicht zu zaghaft?
Vielleicht sind wir nicht gut, aber wir werden nicht aufhören, die Alarmglocken zu läuten! Alles wurde bereits 1990 im ersten Bericht des IPCC gesagt. Die Konsequenzen einer globalen Erwärmung wurden damals noch als virtuell betrachtet. Die allgemeine Auffassung lautete: „Was auch immer, wir werden es dann schon sehen.“ Unglücklicherweise sind diese Fakten bereits eingetroffen. Durch das Schmelzen des Eises stieg der Wasserpegel seit 1990 um bereits 20 cm an. Dies steigert sich jährlich um 3 mm, wobei es sogar wahrscheinlich ist, dass auch dieser Faktor zunehmen wird. Die durchschnittlichen Temperaturen in der Bretagne steigerten sich seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts um 1,5 °C, während all die Leute meiner Generation das miterlebten. Alles, was wir voraussagten, findet jetzt statt – wir übertreiben nicht einmal! Unglücklicherweise kommt das Bewusstsein nur mit Extremen. Die Hitzewelle von 2003 hatte zusammen mit den Berichten des Ökonomen Nicholas Stern einen pädagogischen Effekt. Stern schockte den globalen Handel, indem er prognostizierte, dass das Nichtstun im Vergleich zum Handeln teurer werden würde.

Was sagt man heutzutage, um an das Gewissen zu appellieren?
Schon seit langem habe ich gesagt, dass die Erwärmung in Westeuropa durchaus wahrzunehmen ist, jedoch keine Gefahr darstellt. Jetzt ändere ich meine Aussage: Es ist bereits gefährlich. Diese Desaster bringen menschliche und finanzielle Kosten, die sich aus Vermögensschäden ergeben. Und ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass wir nicht mehr über die Zukunft reden: Es handelt sich um die Kinder von heute, die jetzt auf dem Schulhof spielen und möglicherweise mit Temperaturen von 50 °C im Sommer rechnen müssen. Eine Studie zeigte vor Kurzem, dass ein Anstieg des Wasserniveaus bis 2100 um 40 cm bis zu einem Meter – vielleicht sogar ein Faktor, der nicht weit von zwei Metern entfernt ist – bereits nicht mehr umgänglich ist. Die „Île de Sein“ oder die „Île de Ré“ würden dabei halbiert werden. Sollte die Erwärmung innerhalb der nächsten Jahrhunderte nicht gestoppt werden, so könnte Grönland schmelzen und einen Anstieg des Wasserniveaus um ganze sieben Meter verursachen.

Und all das macht Sie nicht zu einem Schwarzseher?
Es gibt keinen Grund über Katastrophismus zu mutmaßen: Die Situation ist katastrophal. Ich werde zum Schwarzseher, wenn wir nichts unternehmen. Die Erwärmung ist unumgänglich, jedoch könnten wir damit leben, wenn wir sie auf 2 °C beschränken – zumindest in den reichen Ländern. Denn die hauptsächliche Konsequenz, die sich aus der globalen Erwärmung ergibt, ist die Zunahme von Ungleichheit in der Welt. Die Fläche, auf der man leben kann, wird reduziert. Überall auf der Welt sind die ersten Opfer die Unglücklichsten. Dies traf auch bei der Hitzewelle von 2003 und dem Orkan Xynthia zu: Die Eigenheime, die am stärksten vom Sturm betroffen waren, wurden auf günstigem Grund gebaut. Dies trifft auch woanders zu. Die Erwärmung hat Auswirkungen auf die Instabilität und die Gefahr möglicher Konflikte im Nahen Osten. Diesen Sommer konnte man Temperaturen von 54 °C in Pakistan und im Iran messen. Im Nahen Osten und über die gesamte Strecke vom Horn von Afrika bis nach Libyen, wird die Temperatur um 5–6 °C steigen. Bei solchen Temperaturen sind keine Aktivitäten im Freien mehr möglich. Bereits jetzt gibt es 65 Millionen heimatvertriebene Menschen auf diesem Planeten. Die Zahl dieser Flüchtlinge wird steigen, sobald die Sahelzone und das Horn von Afrika trockener werden.

Abgesehen von dieser heftigen Diagnose bleiben Sie optimistisch. Liegt das an Ihrem Vertrauen in die Menschen?
Meiner Meinung nach ist eine Welt ohne Öl, in der wir mit weniger Mitteln besser auskommen, nur wünschenswert. Wenn wir global starten, könnten bereits 2050 die Hälfte aller Energie aus erneuerbaren Ressourcen stammen. Es ist aufregend, eine neue Methode zu dieser Entwicklung zu kreieren!
All dies benötigt Innovation und schafft neue Arbeitsplätze. Es ist wichtig, dass wir Hoffnung und Begehren vermitteln: Diejenigen, die ein Elektroauto kaufen, werden nicht mehr auf Benziner umsteigen. Meine größte Beschwerde an Claude Allègre und seine Anhänger ist deren Annahme, dass es immer eine Lösung gibt, wenn Desaster eintreffen. Dies stimmt im Hinblick auf den Klimawandel nicht. Es handelt sich um pure menschliche Selbstgefälligkeit. Niemand wird den Anstieg des Wasserpegels stoppen. Zufluchtsorte werden schrumpfen. Es wird schwierig werden, genügend Essen für 10 Milliarden Menschen zu garantieren.

Das komplette Interview finden Sie unter lejdd.fr